Fortgeschrittene Anwendungen

Nun möchte ich einen Schritt weitergehen und fortgeschrittene Analysen vorstellen, bei denen die Funktionen von MAXQDA miteinander kombiniert werden. Dabei beziehe ich mich auf Forschungsfragen aus meinen eigenen Forschungstätigkeiten und ich diskutiere die Stärken und Schwächen der Funktionen. Es gibt bereits einige Forschungsbeispiele aus dem hauseigenen Verlag von MAXQDA (Gizzi & Rädiker, 2021). Jedoch ist die Vielfalt der Möglichkeiten längst nicht ausgeschöpft. 

Meine MAXQDA-Beispieldatei kann hier heruntergeladen werden. 

Auszählen von codierten Segmenten

Eine oft publizierte Quantifizierung von codierten Segmenten ist die Auszählung pro Kategorie und/oder pro Dokument. Dies ist insbesondere in Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse geläufig (u. a. Kuckartz & Rädiker, 2022). MAXQDA bietet einige Möglichkeiten, wie die Anzahl codierter Segmente ausgegeben werden kann. 

Das Auszählen codierter Segmente und eine vergleichende Gegenüberstellung von Dokumenten, in meinem Beispiel der vier Lehrpersonen, sind auch unter Analyse > quantitativer Fallvergleich möglich. Hier wird eine Kreuztabelle erstellt, die dasselbe anzeigt wie der Code-Matrix-Browser. In dieser Tabelle (Button: «Zellen farblich hinterlegen») und beim Code-Matrix-Browser (Button: «Heatmap mit Zahlen darstellen») können die Zellen je nach Häufigkeit codierter Segmente eingefärbt werden. Das ermöglicht einen ersten Gesamteindruck über die Verteilungen. 

Auszählen von Summaries

Im Forschungsprojekt perLen (personalisierte Lernkonzepte in heterogenen Lerngruppen) untersuchte ich innovative Schulen in der Schweiz, die ihre Unterrichtsarchitektur radikal verändert haben. Schulleitende und Lehrperson entwickelten Unterrichtskonzepte, in denen persönliche Voraussetzungen und Lernziele der Schüler:innen stärker berücksichtigt werden können. In einem Teil des Forschungsprojekts wurden während drei Jahren halbstrukturierte Leitfadeninterviews in zehn Schulen mit je einem Lehrpersonenteam und je ein Interview mit Schulleitenden geführt. In einem Teil meines Disserationsprojekt untersuchte ich die Erzählpassagen, zu denen sich die Lehrpersonen und Schulleitenden zu Entwicklungstätigkeiten bezüglich der didaktischen und pädagogischen Unterrichtsgestaltung äusserten. Diese Aussagen habe ich unterteilt in zwei Hauptkategorien: Zum einen Aussagen, die Merkmalen der Oberflächenstruktur von Unterricht zugeordnet werden konnten, und zum anderen Aussagen zu den aus einer pädagogisch-psychologischer Perspektive für das Lernen der Schüler:innen sehr bedeutsamen Tiefenmerkmalen von Unterricht.

Die Auszählung der beschrieben Entwicklungstätigkeiten ergaben ein Entwicklungsprofil für jede Schule, auf welcher Qualitätsebene Schwerpunkte in der Unterrichtsentwicklung gelegt wurden. Allerdings fiel während der Analyse auf, dass die Auszählung von codierten Segmenten (Fundstellen) nicht nur von den interviewten Personen selbst abhängig, sondern auch von äusseren Faktoren der Interviewsituation: «Die Häufigkeiten von Fundstellen können durch besondere Ereignisse im Interview (z. B. Störungen; Personen kommen während des Interviews hinzu oder verlassen dieses) und/oder den Interviewstil unterschiedlich ausgeprägt sein. So können Fragebereiche des Leitfadens in den Antworten je nach Interviewstil mehr oder weniger eingehend thematisiert werden und es kann weniger oder häufiger zwischen den Fragebereichen hin- und hergesprungen werden. Zum Beispiel weisen Interviews, die streng der Chronologie des Leitfadens entsprechen, tendenziell weniger Fundstellen auf als ähnlich lange Interviews, in denen zwischen Themenbereichen hin- und hergesprungen wird. Letztere lassen sich durch Merkmale von problemzentrierten Interviews (u. a. Witzel, 2000) charakterisieren, in denen auf einige Bereiche intensiv eingegangen wird, was teilweise zu Abschweifungen führen kann. Damit kann die Fundstellenanzahl auch ein Indikator dafür sein, wie ein Interview verlaufen ist.

Solche durch Fundstellenhäufigkeiten potenziell generierte Verzerrungen sind in großen, längsschnittlichen Forschungsprojekten wie zum Beispiel im qualitativen Teil des perLen-Forschungsprojekts wahrscheinlich, weil über mehrere Jahre viele und wechselnde Projektmitarbeitende und Hilfskräfte an der Datenerhebung mitwirken. Mit einer Schulung in der Interviewführung, der Besprechung des Leitfadens, einer einheitlichen Verfahrensdokumentation und einem Einblick in die qualitative Inhaltsanalyse lassen sich interindividuelle Unterschiede in der Interviewführung zwar reduzieren, was im perLen-Projekt auch erfolgt ist (Vasarik Staub, Galle, Stebler & Reusser, 2019). Allerdings ist eine starke Standardisierung qualitativer Datenerhebungen nicht möglich, weil die Interviews im sozialen Raum stattfinden, in dem Personen unbewusst und bewusst miteinander interagieren und jedes Interview wiederum für sich einzigartig ist (u. a. Flick, 2019)» (Galle, 2021, S. 163ff).

Im Video erkläre ich an meiner Beispieldatei, wie ich die Summaries ausgezählt habe. Dies ist in MAXQDA nur möglich, wenn die Summary-Tabelle exportiert und in einer neuen MAXQDA-Datei importiert sowie codiert wird.

Beziehungen zwischen Codes analysieren

Wenn in der Analyse Überschneidungen von codierten Segmenten zwischen Codes analysiert werden sollen, eigenen sich Mehrfachcodierungen und die Funktionen Codekonfigurationen, Code-Relations-Browser, Codelandkarte und Code-Relations-Modell. Im Video erkläre ich diese Funktionen anhand meiner vier fiktiven Lehrpersonen Max, Hans, Heidi und Petra. Ich gehe der Frage nach, mit wem die vier Personen bezüglich welcher Inhalte und in welcher Qualität zusammenarbeiten. 

Hinweis zur Berechnung der Positionierung der Codes auf der Codelandkarte: "Für die Positionierung der Codes auf der Fläche wird das Verfahren der klassischen multidimensionalen Skalierung verwendet. Für diesen Zweck wird zuerst eine Ähnlichkeitsmatrix entsprechend der Darstellung im Code-Relations-Browser berechnet und anschließend in eine Distanzmatrix umgerechnet. Für die Umrechnung werden zunächst die Spaltensummen berechnet, es wird also bei jedem Code geschaut, wie häufig er mit irgendeinem anderen Code zusammen vorkommt. Das Maximum dieser Spaltensummen wird als maximal mögliche Ähnlichkeit definiert. In jeder Zelle wird die Ähnlichkeit zweier Codes von diesem Maximum subtrahiert. Eine Distanz von 0 bedeutet folglich, dass zwei Codes nur gemeinsam vorkommen, niemals ohne den anderen Code. Eine Distanz entsprechend des Maximums bedeutet, dass diese Codes niemals gemeinsam vorkommen. Bitte beachten Sie, dass durch die Reduktion auf maximal 2 Dimensionen (also auf eine Fläche) und dem damit eingenommene Betrachtungswinkel zwei Codes visuell näher beisammen erscheinen können als es die Distanzmatrix erwarten lässt." (MAXQDA Handbuch)

Mit der Codelandkarte ist es in MAXQDA möglich, Beziehungen zwischen Codes grafisch darzustellen. Jedoch kann dieses Netzwerk nur bedingt individuell gestaltet werden (z. B. APA-Vorgaben) und Parameter der Netzwerkanalyse (z. B. Dichte) lassen sich nicht berechnen. Dies ist in R möglich und wir haben das in einer Publikation dokumentiert, in der wir die Beziehung zwischen Indikatoren bezüglich Antisemitismen in Curricula der österreichischen Lehrpersonenbildung untersucht haben. Das methodische Vorgehen und unsere Interpretationen dieses semantischen Netzwerks (siehe Abbildung) kann hier nachgelesen werden:

Galle, M., Gautschi, P., & Steger, J. (2023). Prävention von Antisemitismen durch Pädagoginnen- und ­Pädagogen-Bildung. Grundlagen und Einblicke in eine quantitative Dokumentenanalyse von Curricula und Modulplänen mit MAXQDA und R. In A. Schnider, M.-L. Braunsteiner, I. Brunner, C. Hansen, B. Schober, & C. Spiel (Hrsg.), PädagogInnenbildung – Evaluationen und Analysen (S. 586–660). Be+Be-Verlag.

Fälle und Gruppen vergleichen

MAXQDA bietet viele Möglichkeiten, Dokumente oder Dokumentgruppen entlang der Originaldaten oder quantifizierend zu vergleichen. Interessanterweise gibt es mehrere Buttons, die immer zur interaktiven Segmentmatrix und zur Kreuztabelle führen. Ebenso zeige ich mit meinem Beispieldatensatz, wie die neue Funktion Profil-Vergleichsdiagramm eingesetzt werden kann und wie Summaries mehrerer Dokumentengruppen gegenübergestellt werden können. 

In MAXQDA können mit der Dokumentlandkarte die Dokumente hinsichtlich ähnlicher Codierungen auf einer zwei-dimensionalen Ebene dargestellt werden. Je näher die Datenpunkte respektive Dokumente zueinanderstehen, desto ähnlicher wurden in diesen Dokumenten die Kategorien gesetzt. Das statistische Verfahren ist hierbei eine klassische multidimensionale Skalierung. Nachteil ist, dass Fit-Werte nicht ausgegeben werden, die anzeigen, wie gut die Darstellung zu den Daten passt. Dies ist in R mit einer nicht-metrischen multidimensionalen Skalierung möglich. In einem Forschungsprojekt haben wir Curricula der österreichischen Lehrpersonenbildung auf diese Weise verglichen (siehe Abbildung). Die einzelnen Analyseschritte sind in dieser Publikation dokumentiert:

Galle, M., Gautschi, P., & Steger, J. (2023). Prävention von Antisemitismen durch Pädagoginnen- und ­Pädagogen-Bildung. Grundlagen und Einblicke in eine quantitative Dokumentenanalyse von Curricula und Modulplänen mit MAXQDA und R. In A. Schnider, M.-L. Braunsteiner, I. Brunner, C. Hansen, B. Schober, & C. Spiel (Hrsg.), PädagogInnenbildung – Evaluationen und Analysen (S. 586–660). Be+Be-Verlag.

Codeabdeckungen: Textdokumente vs. Videodokumente

In MAXQDA sind Codierungen von Videos und Transkripten unabhängig voneinander respektive nicht miteinander verlinkt. Das hat den Nachteil, dass etwa Gesprächsanteile von Personen in einer Diskussion nur in einer Zeitangabe ausgegeben werden kann, wenn auf den Videos codiert wird (Funktion: Codeabdeckung). Wird das Transkript codiert und hier Codeabdeckungen ermittelt, so ist die Zeichenanzahl Datengrundlage der Berechnungen. Im Forschungsprojekt DiaMaNt (Kreis & Brunner, 2022) haben wir uns gefragt, wie sich die Codeabdeckungen von Videos und Transkripten bei identischer Codierung unterscheiden. 

Wir haben bei drei videografierten Unterrichtsbesprechungen mit Lehramtsstudierenden und Praxislehrpersonen (Deutschland: Mentorierende) die Codeabdeckungen bei Transkripten mit denen der Videospur verglichen. Die Daten stammen aus dem Forschungsprojekt Content Focus Coaching (u. a. Kreis, 2012). Zuerst wurden die Transkripte entlang eines Kategoriensystems mittels qualitativ strukturierender Inhaltsanalyse codiert (Mayring, 2010). Anschliessend wurden die Codierungen auf die Videospur übertragen. Erstaunlicherweise fanden wir sehr geringe Unterschiede zwischen den prozentualen Codeabdeckungen. Die Differenzen zwischen dem Transkript und dem Video liegen pro Kategorie zwischen 0.01% und 3.9%. Die geringen Unterschiede in der Codeabdeckungen lassen sich u. a. damit erklären, dass die Gespräche formalisiert sind (Praxislehrperson = Expertin/Experte; Student:in = Novize). Auch ist der Gegenstand der Gespräche – der Unterricht und das Handeln der Studentin oder des Studenten – vordefiniert. Dies führt dazu, dass kaum Aushandlungen zu beobachten sind, die Gesprächsbeiträge fast immer geordnet sind und sich kaum überlappen. 

Hier geht es zur Diskussion auf ResearchGate. 

Videos aufbereiten und analysieren

In MAXQDA können wir Video- und Audiodateien codieren und die Codierungen mit der umfangreichen Funktionspalette (interaktive Segmentmatrix, Kreuztabelle etc.) vertieft analysieren. Allerdings hat MAXQDA einige Eigenheiten, die sich auf das Datenmanagement und die Planung der Analyseschritte auswirken. Zum Beispiel sind Video- und Audiodateien nicht miteinander verknüpft. Ausnahme sind während der Transkription gesetzte Zeitmarken. Codierungen, Memos etc. werden nicht übertragen. Das führt zum Beispiel in der Gesprächsanalyse dazu, dass die Länge von codierten Segmenten im Transkript nicht in einer Zeitangabe ausgegeben werden, sondern in Zeichenanzahl (Codeabdeckung). Soll herausgefunden werden, welche Person wie lange spricht, müssen die Sprechendenanteile auf dem Video codiert werden. Weitere Eigenheiten und Analysemöglichkeiten von Videos in MAXQDA zeige ich in diesem Video. 

Literaturreviews

Auch Literaturreviews sind in MAXQDA möglich. Die Erklärungen in dem Video sind überzeugend, besonders wenn sehr viel Literatur zu sichten ist. Allerdings habe ich damit noch keine Erfahrungen gesammelt. Da ich mich immer mit einem VPN einwählen muss, ist ein spontaner und schneller Zugriff auf die Literaturdatenbank nicht möglich und der Arbeitsprozess kommt ins Stocken, was für mich unbefriedigend ist.

Literatur

Flick, U. (2019). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung (9., überarbeitete.). Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Galle, M. (2021). Unterrichtszentrierte Schulentwicklung. Schulen auf den Weg zu einer personalisierten Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen. Wiesbaden: Springer VS. Verfügbar unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-35070-3

Gizzi, M. C. & Rädiker, S. (Hrsg.). (2021). The practice of qualitative data analysis. Research examples using MAXQDA. Berlin: MAXQDA Press. Verfügbar unter: https://www.maxqda-press.com/catalog/books/the-practice-of-qualitative-data-analysis

Kreis, A. (2012). Produktive Unterrichtsbesprechungen: Lernen im Dialog zwischen Mentoren und angehenden Lehrpersonen. Bern: Haupt.

Kreis, A., & Brunner, E. (2022). Berufspraktische Lehrpersonenbildung als Tätigkeit in sozialen Netzwerken: Theoretischer Rahmen und methodische Konzeption für eine interdisziplinäre Analyse aus allgemein- und mathematikdidaktischer Perspektive. In T. Leonhard, T. Royar, M. Schierz, C. Streit, & E. Wiesner (Hrsg.), Schul- und Berufspraktische Studien und die Fachdidaktiken. Verhältnisbestimmungen—Methoden—Empirie (Bd. 7, S. 179–201). Waxmann.

Mayring, P. (2010). Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (11. Auflage). Weinheim: Beltz.

Vasarik Staub, K., Galle, M., Stebler, R. & Reusser, K. (2019). Qualitätssicherung bei qualitativ inhaltsanalytischen Verfahren in großen Forschungsgruppen: Herausforderungen und Möglichkeiten in der Forschungspraxis am Beispiel der perLen-Studie. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 20(3), Art. 33. https://doi.org/10.17169/fqs-20.3.3391

Witzel, A. (2000). Das problemzentrierte Interview [25 Absätze]. Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research, 1(1), Art. 22.